Altersgerechte Wohnungen sind auch Wohnungen

Magazin / Expertenbeiträge

von Dr. Michael Held, Geschäftsführender Gesellschafter, TERRAGON INVESTMENT GmbH

Das Thema Barrierefreiheit fristet in der deutschen Wohnungswirtschaft ein Schattendasein. Gerade einmal 800.000 bis 900.000 barrierefreie oder -arme Wohnungen gibt es im Bestand. Wer sich mit dem Markt – oder wie so mancher gesagt, mit der Marktnische – beschäftigt, weiß: Das ist ein miserables Ergebnis, das der tatsächlichen Nachfrage absolut nicht gerecht wird.

Allerdings beschäftigt sich mit dem Markt für barrierefreie Wohnungen kaum jemand intensiv. Oft wird mit Halbwissen über die Chancen der Barrierefreiheit auf dem Wohnungsmarkt argumentiert. Zahlreiche Vorurteile und fehlerhafte Analysen sind die Folge. Denn barrierefreie Wohnungen sind keineswegs eine Marktnische für Menschen mit Bewegungseinschränkungen, sie bieten vielmehr Komfort für alle Altersgruppen. Oder würde etwa ein Hobbysportler, der mit einer Verletzung nach Hause humpelt, sich vier Etagen über die Treppe in seine Wohnung quälen, anstatt in dieser Situation den Fahrstuhl zu nehmen? Würde die junge Mutter den Kinderwagen die Stufen vor dem Haus hochtragen, anstatt die daneben verlaufende Rampe zu nutzen? Ist der Enkel nicht froh, wenn die gehbehinderte Oma ihn auch in der neuen Wohnung besuchen kann? Wer genau hinsieht, der weiß, dass Barrierefreiheit schon bei so banalen Situationen wie dem Schleppen von Getränkekisten einen echten Vorteil darstellt.

Was genau Barrierefreiheit ist, machen sich die wenigsten Menschen wirklich bewusst. Dabei ist sie klar definiert, und zwar in der DIN 18040-2. Nicht zu verwechseln ist das barrierefreie Wohnen mit dem rollstuhlgerechten Wohnen (DIN 18040-2R), das teurer in Umsetzung ist.

Wer barrierefreies Wohnen exakt erfassen will, der hat genau 148 Kriterien vor sich. Und die sind zum allergrößten Teil wenig spektakulär, vor allem sind sie einfach und überwiegend ohne Mehrkosten umzusetzen. Wenn im mehrgeschossigen Wohnungsneubau intelligent geplant wird, kann Barrierefreiheit für Mehrkosten von etwas mehr als ein Prozent der Gesamtinvestitionskosten realisiert werden.

Meist steht die Entscheidung über Barrierefreiheit bei der Planung von Wohnungsneubauten allerdings nicht einmal auf der Agenda. Denn die meisten Bauherren unterliegen dem Irrtum, dass barrierefreies Wohnen nennenswerte Investitionen erfordert. Und sie glauben, dass eben nur eine Nische für Senioren oder Menschen mit Bewegungseinschränkungen bedient wird und sich die Chancen der Vermietung über den gesamten Lebenszyklus dadurch sogar verschlechtern.

Dem ist aber nicht so, und daher muss ein Umdenken stattfinden: Bei einer geschickt geplanten barrierefreien Wohnung denkt niemand an „Seniorenwohnung“. Die Vermietungschancen steigen sogar – insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Selbst wenn barrierefreie Wohnungen nur von Menschen mit Bewegungseinschränkungen genutzt werden könnten, ist eine immense Nachfragelücke zu beklagen: Um auf ein Marktangebot zu kommen, bei dem jederzeit Bedürftige ein geeignetes Zuhause finden, müssen nicht 800.000 sondern 4,2 Millionen entsprechende Wohnungen vorhanden sein. Wenn die aktuelle Neubauphase jetzt nicht dazu genutzt wird, das Angebot zu erhöhen, wird sich der Engpass in den kommenden Jahren erheblich vergrößern.

Die Lösung kann nur in der Erkenntnis liegen, dass altersgerechte Wohnungen auch Wohnungen sind, und zwar solche, die jeder nutzen kann – nur eben mit deutlich mehr Komfort in jedem Alter.

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