Interview: Sibylle Meister

Magazin / Experten

stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Berliner FDP-Fraktion, sowie Haushaltspolitische Sprecherin

Frau Meister, der Berliner Wohnungsmarkt steht unter Druck. Die Mieten steigen und die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen werden immer länger. Um diesen Problemen Herr zu werden, spricht man nun vielfach von der Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts. Wie kann dieses Vorkaufsrecht überhaupt zum Tragen kommen und wie bewerten Sie generell diese Ausübung?

SibylleMeister: Kauft ein Erwerber ein Wohnhaus in einem Gebiet, welches im Geltungsbereich der sozialen Erhaltungsverordnung – also in einem Milieuschutzgebiet liegt, kann der Bezirk ein Vorkaufsrecht ausüben. Immer häufiger steigen einige Bezirke in diese Kaufverträge ein und kaufen somit zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Immobilien. Dadurch sollen niedrigere Mieten gesichert werden.

Der Slogan „Wir kaufen die Stadt zurück“ ist insofern vollkommenirreführend, da kein einziger Mieter irgendetwas zurückkauft, sondern das Land Berlin. Wohnraum wird somit zunehmend verstaatlicht. Die Anwendung des bezirklichen Vorkaufsrechts schafft keine einzige neue Wohnung, wir lehnen es daher entschieden ab.

Warum wird das Vorkaufsrecht in letzter Zeit so häufig angewendet?

SibylleMeister: Als Begründung für die Ausübung eines Vorkaufsrechts führen die Bezirke an, dass somit die Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur erhalten bleibt und die Mieten niedrig bleiben. Allerdings interessiert dabei niemanden, wie bedürftig die Bewohner des Objektes wirklich sind. Gleichzeitig ändert sich die Bevölkerungsstruktur gerade in Berlins quirligen Innenstadtlagen ständig durch Zuzug, Demographie und individuelle Lebensplanungen. Dies kann weder durch kleinteilige Ankäufe gestoppt noch gebremst werden.

Gibt es denn Kriterien, wonach sich ein Haus für das Vorkaufsrecht qualifiziert, außer dass es in einem Milieuschutzgebiet liegt?

SibylleMeister: Genau hier liegt eines der Probleme: Der Senat und die Bezirke können keine klaren Regeln definieren, nach denen sie Vorkaufsrechte ausüben. Es wird nur sehr vage von der Verhinderung von ungewünschten Veränderungen gesprochen. Man bleibt jedoch schuldig, welche diese seien. Damit wird in einen starkenStrukturkonservatismus verfallen, verbunden mit einer „Alles bleibt so, wie es ist“-Mentalität, welche jegliche Veränderungen der Kieze als Bedrohung wahrnehmen. Dabei zeichnet sich Berlin gerade dadurch aus, dass es sich stetig wandelt und immer neu erfindet.

Am Ende können doch aber alle in ihrer Wohnung bleiben.

SibylleMeister: Naja, mit diesem Vorgehen zahlt schließlich der Steuerzahler, also der Kassierer oder die Krankenschwester, auch dafür, dass die Startup- Geschäftsführerin und die Chefärztin eine günstige Wohnung in Innenstadtlage behalten können. Nach meinem Dafürhalten hat das mit sozialer Gerechtigkeit nichts mehr zu tun. Wenn man wirklich die sogenannte Berliner Mischung behalten möchte, was ich will, dann muss das Land Berlin endlich individueller und gezielter fördern.

Aber, wenn das Mietshaus an eine landeseigne Wohnungsbaugesellschaft geht, werden doch die Mietpreise nicht weiter steigen!

SibylleMeister: Es ist eine Illusion, dass die Ausübung des Vorkaufsrechtes vor steigenden Mieten schützt. Auch die Wohnungsbaugesellschaften sind angewiesen wirtschaftlich zu arbeiten. Wenn sie keine weiteren Zuschüsse aus Steuergelder für die teils stark sanierungsbedürftigen Häuser erhalten, werden und müssen sie die Mieten nach geltendem Recht anpassen. Dieser Fall ist nicht ausgeschlossen und auch schon geschehen, wie Betroffene berichteten. Hier wird den Mieterinnen und Mietern etwas vorgegaukelt, was nicht gehalten werden kann.

Eingangs sprachen Sie darüber, dass das Land Berlin die Vorkaufsrechte finanziert. Über welche Summen reden wir da?

SibylleMeister: Mittlerweile wurden weit über 70 Millionen Euro für das Vorkaufsrecht ausgegeben, damit ist jedoch keine einzige neue Wohnung entstanden und der Druck auf die Mieten wurde nicht verringert. Die Koalition aus Rot-Rot-Grün will diesen Topf sogar noch weiter aufstocken.

Mit diesem Geld werden erhebliche Risiken eingegangen. Wirtschaftlichkeitsberechnungen spielen beim Vorkaufsrecht keine Rolle. Sollte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft, für welche das Vorkaufsrecht angewandt wird, Zweifel anmelden, dass sich dieser Kauf wirtschaftlich nicht lohnt, gleicht das Land das bestehende Delta einfach aus – Ohne Kontrolle und ohne Plausibilitätsprüfung. Das Risiko, welches ein privater Investor tragen würde, übernimmt nun der Steuerzahler. Damit beteiligt sich das Land selber an einer Verknappung von verfügbaren Anlageobjekten und treibt die Preise somit weiter in die Höhe.

Wie sieht es denn mit der Substanz der Häuser aus?

SibylleMeister: Die betroffenen Häuser weisen teilweise einen hohen Sanierungsbedarf auf, dürfen und können aber nicht saniert werden. In einer Zeit, in der Umweltschutz und ein ressourcenschonender Umgang einen gesamtgesellschaftlichen hohen Stellenwert haben, ist es nicht erklärlich, warum Wohnungen mit alten Kohleöfen einen besonderen Schutz genießen sollen. Unser Ziel muss es doch sein, dass wir Wohnungen für alle in dieser Stadt schaffen, auch mit einem gewissen Mindeststandard.

Was ist denn Ihre Idee, wie die Mietenkrise gelöst werden kann?

SibylleMeister: Allein die Schaffung von mehr Wohnraum löst das Problem des angespannten Wohnungsmarktes. Die Aufwendung von Steuermitteln für die Umsetzung der Vorkaufsrechte in den Bezirken geht zu Lasten der Berlinerinnen und Berliner. Statt Geld und Personal in langwierigen und komplexen Verfahren zu verschwenden, sollte der Senat die Bauämter stärken, damit Bebauungspotenziale erkannt, ausgewiesen und zeitnah genutzt werden können. Die landeseigenen Wohnungsgesellschaften müssen angehalten werden, dringend mehr günstige Wohnungen zu bauen, denn dafür sind sie schließlich da. Doch nur mit landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften allein wird der Bedarf nicht gedeckt. Private Unternehmer und Unternehmerinnen dürfen nicht verteufelt werden, sondern müssen stärker in Ihren Bauleistungen Unterstützung erfahren, um den großen Bedarf zu decken.

Wie wollen Sie denn konkret dafür sorgen, dass der Wohnungsneubau angekurbelt wird?

SibylleMeister: Das Land Berlin muss endlich anfangen, Flächen für den Wohnungsbau auszuweisen. Dazu gehört die Entwicklung von bestehenden Freiflächen, wie dem Areal am Westkreuz oder der Elisabeth Aue. Auch die Einführung eines Baulückenkatasters kann dafür sorgen, dass weitere Flächenpotentiale schnell auffindbar gemacht und der Entwicklung zugeführt werden. Außerdem muss dieBauordnung massiv entschlackt werden, damit Baukosten endlich sinken, sowie Planungsverfahren beschleunigt werden. Die Mietpreisbremse und Milieuschutzgebiete sind augenscheinlich nutzlos und gehören endlich abgeschafft.

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