Stadtteilporträt: Friedrichshain
Ein Ortsteil erfindet sich neu
Friedrichshain ist vor allem eins: bunt. Eine bessere Möglichkeit, den Ortsteil zu beschreiben, gibt es nicht. Denn Friedrichshain ist eines der facettenreichsten Berliner Gebiete: Lebendige und ruhige Ortslagen sind hier ebenso zu finden wie konservative und alternative Lebensweisen. Friedrichshain hat sich in den vergangenen 30 Jahren grundlegend gewandelt. Noch zu DDR-Zeiten war der Ortsteil ein Arbeiterbezirk. Während der Wiedervereinigung und zu Beginn der 1990er Jahre war Friedrichshain vor allem wegen der starken Hausbesetzerszene berühmt beziehungsweise berüchtigt. Aus dieser Kultur entstanden zahlreiche beliebte soziokulturelle Einrichtungen wie Bars, Veranstaltungsräume und Videokinos. Diese trugen dazu bei, dass immer mehr zuziehende Studenten den Ortsteil für sich entdeckten und Friedrichshain sich zu einem beliebten Wohn- und Lebensraum in Berlin entwickelte.
Auch wenn der Ortsteil sich heute in einem fortschreitenden Gentrifizierungsprozess befindet, so sind die alternativen Lebensweisen aus den Straßen längst nicht verschwunden. Im Gegenteil: Der Bezirk fördert diese Lebensweisen gezielt. Erst im Juli gab die Bezirksleitung bekannt, dass man die seit elf Jahren an der Modersohnstraße existierende Wagenburg langfristig sichern wolle. Den Bewohnern werden für das gut 5.000 Quadratmeter große Gebiet Verträge mit Mietpreisen von 12 Cent pro Quadratmeter angeboten.
Vom Sanierungsgebiet zum Trendviertel
Unsanierte Altbauten, verfallene Grünanlagen, hoher Leerstand – unmittelbar nach der Wiedervereinigung war Friedrichshain alles andere als ein Trendviertel. Deshalb erklärte der Berliner Senat weite Teile des Ortsteils 1993 zum Sanierungsgebiet. Mehrere hundert Millionen Euro öffentliche Gelder wurden in die Aufwertung in Friedrichshain investiert. Die Mittel flossen in den Bau neuer Spielplätze, in die Anlage neuer Grünflächen, in den Umbau von Kindergärten und Schulen sowie in die Verbesserung der Wohnausstattungen.
In den vergangenen fünf Jahren wurden zahlreiche Sanierungsvorhaben erfolgreich abgeschlossen. Wie sich dadurch das Gesicht des Ortsteils verändert hat, zeigt das Beispiel Samariterviertel. Nach der Wiedervereinigung war der Kiez heruntergekommen: Die Arbeiter und Angestellten, die sich dort niedergelassen hatten, lebten oft in kleinen Wohnungen ohne Badezimmer, der Putz bröckelte von den Wänden, viele Wohneinheiten standen leer. Heute sind fast 90 Prozent der Wohnhäuser saniert, sieben Spielplätze wurden angelegt, die Bevölkerung ist um ein Drittel gewachsen. Die sanierten Altbauten locken besonders junge Familien mit einem oder zwei Kindern an, sodass das Durchschnittsalter im Kiez heute bei gerade einmal 33 Jahren liegt.
Neue Quartiere entstehen
Jahrzehntelang war Friedrichshain ein Arbeiterbezirk mit vielen Industrie- und Gewerbebetrieben. Nach der Wiedervereinigung gab es zahlreiche Geschäftsaufgaben. Was blieb, waren Industriebauten wie die alten Lager- und Kühlhäuser am Osthafen. Sie wurden von Investoren und Projektentwicklern seit Mitte der 1990er Jahre aufwendig saniert, umgebaut und neu vermietet. Heute steckt das Osthafen-Gelände voller kreativem Leben: Das ehemalige Eierkühlhaus direkt an der Oberbaumbrücke beherbergt die Berliner Niederlassung von Universal Music. Direkt daneben haben die Musik- und Entertainmentfirmen MTV und Viva ihre Deutschlandzentralen eingerichtet. Das Unternehmen „Fernsehwerft“ stellt auf dem Uferareal Studios und Ausrüstungen für TV-Produktionen zur Verfügung. Die nh-Gruppe wiederum betreibt ein „Musik-Hotel“. Darüber hinaus haben sich diverse Modelabels auf dem Areal niedergelassen und in einem sanierten Lagerhaus Showräume eingerichtet. Ab 2014 wird ein weiteres, weltweit bekanntes Unternehmen an den Osthafen ziehen: Coca-Cola.
Das Osthafen-Gelände gehört zum neuen Media-spree-Quartier, das in den kommenden Jahren in Friedrichshain entstehen soll. Projektentwickler und Investoren planen neben dem Bau von Büros die Ansiedlung von Einzelhandel, Gastronomie, Hotels und kulturellen Einrichtungen sowie den Bau von Wohnungen. In der Vermarktung befindet sich aktuell das Areal rund um die O2-World. 20 Hektar verkauft das Unternehmen AEG zwischen der Warschauer und der Mühlenstraße an Investoren. 4.500 Quadratmeter sind bereits vergeben: Gegenüber der Eastside Gallery errichtet Daimler eine neue Konzernzentrale für seine 1.200 Mitarbeiter.
Im Fokus: Townhouses
In jüngster Zeit ist zu beobachten, dass Projektentwickler und Investoren ihren Fokus nicht länger nur auf Gewerbeimmobilien legen. Immer häufiger investieren sie in die Errichtung neuer Townhouses, die bei Mietern und Käufern sehr gefragt sind. Besonders junge Familien interessieren sich nach Erfahrungen der Wohnungsbaugesellschaft CDS für die Neubauten. Das Unternehmen errichtet auf dem Gelände des Alten Schlachthofs an der Eldenaer Straße 82 Reihenhäuser. Viele der geplanten Wohneinheiten waren schon vor Baubeginn vergeben. Das Areal ist ein weiteres Beispiel für den Wandel in Friedrichshain. Lange Zeit lag das ehemalige DDR-Schlachthausgelände brach. Mittlerweile sind rund 90 Prozent des Gebietes bebaut. 1.100 Menschen haben dort ein neues Zuhause gefunden. Ein Baumarkt, mehrere Supermärkte sowie ein Feinkostgeschäft sorgen für das Wohl der Anwohner. Heute erinnern nur noch die ungewöhnlichen Straßennamen wie „Zur Rinderauktionshalle“ und „Viehtrift“ an vergangene Zeiten. Der Berliner Senat erklärte das Gebiet um den Alten Schlachthof jüngst sogar zu einem der Wohnviertel mit den besten Entwicklungschancen in Berlin. Das mag vor allem daran liegen, dass die Arbeitslosenquote gering ist und nur wenige Familien mit Kindern die Gegend wieder verlassen.
Starke Mietsteigerungen
Der Wandel von Friedrichshain hat seinen Preis. In den vergangenen fünf Jahren sind die Angebotsmieten um durchschnittlich 32 Prozent gestiegen. Die günstigsten Quadratmeterpreise sind derzeit rund um den Ostbahnhof zu finden. Dort ist das Mietniveau mit 5,08 Euro je Quadratmeter im unteren Marktsegment am niedrigsten. Über alle Marktsegmente hinweg liegen die Angebotsmieten in Friedrichshain bei durchschnittlich 8,11 Euro je Quadratmeter.
Die vier Friedrichshainer Gebiete Ostkreuz, Volkspark, Ostbahnhof und Samariterstraße gehören zu den 50 kaufkraftschwächsten Gebieten Berlins. Da das Mietniveau in allen Teilen von Friedrichshain durchgängig über den gesamtstädtischen Mittelwerten liegt und die Einkommen im Ortsteil niedrig sind, ist die Wohnkostenquote sehr hoch. Sie liegt zwischen 29,2 Prozent rund um den Ostbahnhof und 31,0 Prozent rund um den Volkspark.
Die zentrale Lage des Bezirks scheint viele Bewohner über die hohen Wohnkosten hinwegzutrösten. Leerstehende Wohnungen sind in Friedrichshain kaum noch zu finden. Die Leerstandsquote liegt mit durchschnittlich 2,0 Prozent deutlich unter dem Berliner Durchschnitt von 3,3 Prozent.