Das Milieu entscheidet über die wertbestimmenden Faktoren
Angesichts der herausfordernden wirtschaftlichen Ausgangslage blicken die deutschen Projektentwickler zurzeit ganz genau auf Faktoren wie Baukosten, Mietpreisentwicklungen und Renditeaussichten. Doch auch die Qualität der lokalen Infrastruktur wie ÖPNV-Anbindung, Schulen, Kitas und Kindergärten, Nahversorgung und Grünflächen beeinflusst die spätere Preisgestaltung von Projektentwicklern. Welche Faktoren dabei die größten Auswirkungen haben, hängt maßgeblich vom jeweiligen sozialen Milieu ab, das die Zielgruppe bildet.
Die Ausgangslage wird keinesfalls leichter
Für den Zeitraum von 2010 bis 2022 zeigt der Baupreisindex des Statistischen Bundesamts einen Anstieg um 64 Prozent – während sich die Inflationsrate im selben Zeitraum lediglich um 25 Prozent erhöht hat. Trotz der aktuellen Krise sind diese Kosten nicht signifikant gesunken, während gleichzeitig die politischen Unwägbarkeiten bei den ESG-bezogenen Regularien und bei den Fördermitteln zugenommen haben.
Wenn ein Projektentwickler trotz dieser herausfordernden Umstände ein Projekt in Angriff nehmen kann, ist es umso wichtiger, die Zielgruppe des jeweiligen Produkts im Vorfeld exakt zu bestimmen. In der Realität konzentrieren sich einige Projektentwickler zu stark auf die Gegebenheiten und Potenziale des jeweiligen Grundstücks und manchmal zu wenig auf die soziale Durchmischung und die existierende Infrastruktur in der jeweiligen Makrolage.
Der Blick auf die sozialen Faktoren mag zunächst wie eine Selbstverständlichkeit wirken: Ein Hamburger Projektentwickler würde in der geschäftlich geprägten HafenCity wohl kaum Wohnprojekte planen, die sich ausschließlich auf Familien konzentrieren – sondern diese in Winterhude, Lokstedt oder Eppendorf realisieren. Dementsprechend unsinnig wäre es, bei den Flächen auf Einheitslösungen zu setzen, nur weil sich diese womöglich an anderen Standorten bewährt haben.
Die Sinus-Milieus wandeln sich
Die tatsächlichen Herausforderungen liegen allerdings wie immer im Detail. Es zeigt sich immer stärker, dass sich die Bedürfnisse innerhalb der sozialen Milieus mit hoher Dynamik anpassen – vor allem in der gesellschaftlichen Mitte. Eine aktuelle Studie der Sozialforscher des Sinus-Instituts aus Berlin und der Bertelsmann-Stiftung aus Gütersloh ergab, dass die Mitte der Gesellschaft stark an Zuversicht verliert. Nur noch jeder vierte Mensch im sogenannten nostalgisch-bürgerlichen Milieu und nur noch jeder zweite im adaptiv-pragmatischen Milieu, die die Mittelschicht ausmachen, blickt optimistisch in die Zukunft. Verglichen mit den Ergebnissen aus dem Jahr 2022 ist das ein deutlich negativeres Ergebnis. Daraus können unter anderem eine sparsamere Lebensweise und ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis entstehen. Für die Bewertung von Wohnimmobilienstandorten kann dies wiederum bedeuten, dass bestimmte Freizeitangebote und eine Event-Location weniger wichtig sind als klassische soziale Infrastruktur wie Schulen, Kita-Plätze, Parks und Grünanlagen oder auch eine gute ärztliche Versorgung. Auch die Bezahlbarkeit des Wohnraums rückt damit nochmals stärker in den Fokus der Nutzer.
Eine gegenteilige Ausgangslage ergibt sich bei den meisten Sinus-Milieus innerhalb der Oberschicht und oberen Mittelschicht. Sowohl die „Bildungselite“ als auch die „Leistungselite“ und die eher künstlerisch geprägten Milieus setzen auf Standortqualitäten, welche vor wenigen Jahren noch nicht relevant waren. Wichtig dabei sind häufig Kriterien der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit – sowohl beim Immobilienkonzept und bei der Bauweise als auch in der direkten Umgebung. Zudem sind viele dieser Haushalte inzwischen noch stärker international in ihrem Mindset aufgestellt als noch vor wenigen Jahren. Für einen Projektentwickler mit Fokus auf eher vermögende Zielgruppen kann ein prüfender Blick sehr hilfreich sein, ob die Schule in der Nachbarschaft mit Sprachkursen auf Mandarin punkten kann oder Rugby zu den Sportarten zählt, die Vereine vor Ort anbieten.
Was letztlich die wichtigen preisbildenden Standortfaktoren sind, entscheidet sich aus der Lebenswirklichkeit der Zielgruppen heraus. Dementsprechend sollten Immobilienentwickler ihre Konzepte auf die existierenden Milieus anpassen – und nicht etwa erwarten, dass die gewünschte Zielgruppe vom eigenen Projekt angezogen wird und freiwillig in eine Nachbarschaft zieht, die eigentlich nicht zu ihr passt. Die Königsdisziplin der Quartiersentwicklung besteht allerdings darin, möglichst viele verschiedene geeignete Zielgruppen mit unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründen zu identifizieren und darauf aufbauend ein zeitgemäßes Quartierskonzept zu entwickeln, das die Interessen aller berücksichtigt. Wo es an Infrastruktur fehlt, sollte diese zudem gezielt innerhalb des Quartiers geschaffen werden. Diese Faktoren zu ignorieren – oder aber sie zu belächeln – wäre für die langfristige Zukunftsfähigkeit des Projekts sehr problematisch.
Der gemeinsame Nenner lautet Mobilität
Eine Pauschalisierung, welche Standortfaktoren am stärksten wertbestimmend sind, wäre also unsinnig – mit vielleicht einer Ausnahme. Moderne Mobilitätskonzepte und die Vermeidung von übermäßigem Individualverkehr sind inzwischen bei so gut wie jeder Neuentwicklung äußerst relevant. Natürlich sind Standorte im Speckgürtel weiterhin Kfz-lastiger als innerstädtische, was sich bei der Planung von Stellplätzen sowie vielen anderen Details niederschlägt.
Allerdings setzen immer weniger Menschen auf das eigene Auto, und das über die meisten sozialen Milieus hinweg. Durch das wachsende Umweltbewusstsein der jüngeren Generationen dürfte sich dieser Trend künftig sogar nochmals deutlich verstärken. Eine effiziente ÖPNV-Anbindung sowie die Kompatibilität mit Carsharing und ähnlichen Angeboten wirken sich immer stärker auf die erzielbaren Miet- und Kaufpreise von Wohnimmobilien aus. Diese Faktoren nehmen also nicht nur in der Innenstadt immer mehr an Bedeutung zu, sondern auch in der Peripherie.