Die demografische Entwicklung ist sicher

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Dr. Michael Held, Vorstandsvorsitzender der TERRAGON AG

Momentan steht Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie weitestgehend still. Unsere Gedanken sind in dieser Zeit vor allem bei den Erkrankten, ihren Angehörigen und allen potenziellen Risikopatienten. Für die Zeit nach dem Stillstand sind wir jedoch weiterhin guten Mutes. Denn die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft geht weiter: 2020 ist das Jahr, in dem die ersten Babyboomer das nominelle Rentenalter erreichen. Jene Nachkriegsgeneration also, die durch besonders geburtenstarke Jahrgänge herausstach.

Für alle, die geschäftlich mit dem Wohnen im Alter beschäftigt sind, bricht damit eine neue Zeit heran: Der Bedarf an Service-Wohnungen für Senioren im Bereich des ‚Betreuten Wohnens‘ – mit einem Grundservice sowie zubuchbaren Leistungen –, der in den zurückliegenden Jahren bereits kontinuierlich gestiegen ist, wird in den kommenden zehn Jahren ein beschleunigtes Wachstum erleben.

Wie sich die Gesamtwirtschaft und der Teilmarkt in den kommenden Monaten und Jahren entwickeln werden, ist offen. Aufgrund der demografischen Entwicklung lassen sich aber einige Prognosen erstellen, deren Gültigkeit nach aktuellem Wissensstand von der Pandemie unbeeinträchtigt bleiben: Bis 2030 wird die Zahl der über 65-Jährigen um 28 Prozent auf 21,8 Millionen, jene der über 80-Jährigen um sogar 38 Prozent auf 6,2 Millionen steigen. Daraus folgt für diese Assetklasse ein Investitionspotenzial von 64 Milliarden Euro innerhalb von gerade einmal 15 Jahren.

Dieses Potenzial haben auch die Investoren bereits für sich entdeckt. Laut immoTISS care könnte im Jahr 2020 das Transaktionsvolumen für Seniorenimmobilien im Bereich Betreutes Wohnen bereits eine Milliarde Euro übersteigen. Für 2021 geht die Prognose davon aus, dass Betreutes Wohnen aus Sicht des Transaktionsvolumens Pflegeheime überholen wird.

Schon heute besteht eine signifikante Versorgungslücke für die ‚neuen Senioren‘, die als eigenständige Generation einen aktiven und selbstbestimmten Ruhestand in den eigenen vier Wänden anstreben. Dieses Urteil bestätigt auch das Frühjahrsgutachten 2020 des Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), das dem Segment in der aktuellen Ausgabe erstmals ein eigenes Kapitel widmet und der steigenden Relevanz des Service-Wohnens für Senioren somit Rechnung trägt. Einem Gesamtbedarf von 865.000 Wohneinheiten in Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern steht ein Angebot von lediglich etwa 300.000 existierenden Service-Wohnungen gegenüber. Es fehlen also aktuell bereits mehr als eine halbe Million Einheiten, viele Senioren finden deshalb in der Nähe ihres Wohnorts keine Angebote, die den individuellen finanziellen Möglichkeiten gerecht werden. Das Ergebnis der empirica-Studie: Bis ins Jahr 2035 wird diese Lücke noch einmal um etwa 200.000 Wohnungen wachsen.

Hoher Bedarf auch im Premium-Segment

Dabei variiert der Bedarf sowohl regional als auch zwischen den einzelnen Segmenten. Als bedarfsdeckend wird aus medizinischer und sozialer Perspektive ein Versorgungsgrad von fünf Prozent der Haushalte von über 70-Jährigen definiert – für 20 Haushalte müsste in einer Stadt also je eine Service-Wohnung bereitstehen. Doch ein solcher Wert wird fast nirgendwo in Deutschland erreicht. Während die Lage in Hamburg mit 4,9 Prozent oder in Berlin mit 3,5 Prozent verbesserungswürdig, aber nicht dramatisch erscheint, zeigt sich in anderen Regionen eine eklatante Unterversorgung: In Rheinland-Pfalz, Thüringen und dem Saarland liegt die Quote bei einem Prozent. Die niedrigsten Werte ergeben sich in der Gesamtschau in den östlichen Bundesländern, doch schon der bundesweite Durchschnitt offenbart mit einem Versorgungsgrad von 1,8 Prozent dringenden Handlungsbedarf.

Blickt man auf die unterschiedlichen Ausstattungs- und Servicekategorien, wie sie das Sternesystem der Gesellschaft für immobilienwissenschaftliche Forschung (gif) darstellt, zeigt sich gerade im Premium-Segment ein überproportionaler Angebotsmangel. Allein im Vier- und Fünf-Sterne-Segment beim Service-Wohnen besteht den empirica-Daten zufolge eine Unterversorgung von aktuell 90.000 bis 100.000 Wohnungen. Dies ergibt sich erneut aus dem Versorgungsgrad, der regional zwischen 0,07 (Saarland und ostdeutsche Bundesländer) und 0,64 Prozent (Hamburg) variiert. Eine Quote von 0,75 Prozent würde den tatsächlichen Bedarf decken – sie wird jedoch in keiner der deutschen Städte erreicht. Mit dem sukzessiven Renteneintritt der Babyboomer verschärft sich dieser Angebotsmangel noch einmal: Bis 2035 wird der Bedarf um weitere 33.000 Service-Wohnungen in Premium-Qualität steigen. Nicht zuletzt deshalb empfiehlt das ZIA-Frühjahrsgutachten ein grundsätzliches Umdenken: Die Herausforderung der nächsten Jahre bestehe darin, die adäquate Wohnraumversorgung der wachsenden Altersgruppe über 65 Jahren sicherzustellen.

Service-Wohnen ist für Großteil der Senioren erschwinglich

Eine gute Grundlage für den Abbau der signifikanten Versorgungslücke bildet indes die solide Finanzsituation der Haushalte mit Bewohnern über 70 Jahren. Die relativ hohe Zahl gutsituierter Haushalte in Kombination mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Assetklasse Seniorenwohnen, die auch aus den gestiegenen Ansprüchen der Babyboomer an Komfort, Flexibilität und Mobilität resultiert, erlaubt eine mittlere monatliche Miete von 1.100 Euro. Für Vier- und Fünf-Sterne-Wohnungen, die sich durch großzügigere Grundrisse, eine bessere Ausstattung und mehr Serviceangebote auszeichnen, werden durchschnittlich 2.100 bis 2.800 Euro pro Monat bezahlt.

Auf dieser Basis ergibt sich bis 2035 das bereits genannte Gesamtinvestitionspotenzial von 64 Milliarden Euro für Neubau und Instandhaltung von Service-Wohnungen, das die Senioren allein aus ihrem Einkommen finanzieren könnten. Würden zudem Steuergelder zur Verbesserung der Versorgung eingesetzt, ergäbe sich eine mögliche bundesweite Investitionssumme von 100 Milliarden Euro in diesem Bereich. Dieselbe Tendenz gilt auch im Premium-Segment – kommt empirica doch zu dem Schluss, dass 2,4 Millionen Haushalte Nutzungsentgelte von bis zu 7.000 Euro monatlich aus dem laufenden Einkommen sowie vorhandenem Vermögen bestreiten könnten. Mit ihrer finanziellen Stärke werden die Babyboomer dem Markt für Service-Wohnen also aller Voraussicht nach ein ausgesprochen vielversprechendes Jahrzehnt bescheren.


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