Die serielle Sanierung als Tempomacher der Transformation

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Von Stefan Anderl, Head of ELK TECH

Fast zwei Drittel der deutschen Gebäude wurden vor der Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung 1979 errichtet und verbrauchen bis zu fünfmal mehr Energie als heutige Neubauten. Das summiert sich. In Zahlen sprechen wir in Deutschland von 21 Millionen Gebäuden, die rund 35 Prozent des Energieverbrauchs des Landes verursachen. Das belastet die Umwelt und torpediert das Ziel Deutschlands der Treibhausgasneutralität bis 2045. Und gemäß der EU-Gebäuderichtlinie sollen bis 2050 alle Gebäude in Europa den Net-Zero-Standard erreichen.

Und die Realität? Deutschland kämpft mit einem Sanierungsstau. Obwohl eine jährliche Sanierungsquote von zwei Prozent nötig ist, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen, stagnierte die Quote 2024 bei nur 0,7 Prozent. Wenn es so weitergeht, werden auch 2025 nur etwa 275.000 Wohneinheiten saniert – viel zu wenig, um die gesetzlich geforderten Ziele zu erreichen.

Eine Lösung mit Potenzial: serielle Sanierung
Serielle Sanierung könnte die Kehrtwende bringen. Dabei werden vorgefertigte Module genutzt, die wie eine zweite Haut auf die alte Fassade gesetzt werden und im besten Fall aus Hochleistungsdämmung, integrierter Photovoltaik (BIPV) und kontrollierter Lüftung bestehen. Die Photovoltaik-Module sind in die Fassade eingebettet und liefern einen Großteil der benötigten Energie für das Gebäude. Zusätzlich sorgt die Dämmung für eine deutliche Reduktion des Heizbedarfs, und das Lüftungssystem gewährleistet eine kontinuierliche Frischluftzufuhr bei minimalem Wärmeverlust. Geeignet ist die serielle Sanierung insbesondere für genormte Gebäude mit einheitlichen Strukturen und Fassade – jene typischen Großwohnsiedlungen aus den 1950er- bis 1980er-Jahren. Deren Bestandshalter – große kommunale, landeseigene oder privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen – stehen zunehmend unter Druck, ihre Immobilien ESG-konform zu modernisieren. Die EU-Taxonomie fordert, dass Unternehmen ökologische Nachhaltigkeitskriterien erfüllen, um als zukunftsfähige Investments zu gelten. Zudem steigern ESG-konforme Immobilien ihren Marktwert und reduzieren langfristig Betriebskosten durch Energieeinsparungen. Für kapitalmarktorientierte Wohnungsunternehmen sind ESG-konforme Sanierungen daher entscheidend, um wettbewerbsfähig zu bleiben und ihren Bestand an attraktive, nachhaltigkeitsorientierte Investoren vermieten zu können.

Was ist serielle Sanierung – und was kann sie im Idealfall leisten?
Im Optimalfall könnte die serielle Sanierung den gesamten Prozess der energetischen Gebäudemodernisierung revolutionieren und selbst ineffiziente Bestandsbauten zu klimaneutralen Gebäuden umwandeln. Ein Beispiel: Ein typisches Wohngebäude der 1970er-Jahre mit 20 Wohneinheiten und einem Primärenergiebedarf von 300 kWh/m²a kann durch serielle Sanierung auf unter 50 kWh/m²a gebracht werden. Damit werden CO₂-Emissionen von über 80 % eingespart, und das Gebäude kann seinen Restbedarf durch die integrierte PV-Anlage decken. Möglich wird dies durch die oben beschriebene Sanierungsmethode, die alte Gebäude in umfassend gedämmte, energieerzeugende Bauwerke verwandeln kann. Dank einer Art Kokon für das Gebäude könnte eine solche Lösung das ursprüngliche Bauwerk gewissermaßen konservieren und zugleich transformieren. Die Bauzeit? Erstaunlich kurz und mit minimalen Einschränkungen für die Bewohner.

Wo hakt es in Deutschland?
In Deutschland befindet sich die serielle Sanierung noch in der Einführungsphase und steht vor mehreren Hürden. Einerseits gibt es noch nicht viele Anbieter, die abgeschlossene Sanierungsprojekte als Referenz vorweisen können. Andererseits sind auch die meisten Bestandshalter noch mit Vorbereitungsarbeiten beschäftigt. Am wichtigsten dabei sind – so banal es klingt – eine interne Festlegung der Zielsetzungen und eine genaue Prüfung des Portfolios, welche Gebäude sich für eine serielle Sanierung am besten eignen. Des Weiteren müssen interne Abläufe und Planungsprozesse hinterfragt werden, da sich diese oft von konventionellen Sanierungsprojekten deutlich unterscheiden. Spezielle Förderprogramme wie der serielle Sanierungsbonus sollen in dieser Anlaufphase unterstützen. Inzwischen deuten erste Pilotprojekte darauf hin, dass serielle Sanierungen mit steigender Nachfrage und zunehmender Erfahrung auch hierzulande zu einem Schlüsselinstrument werden könnten.

Die Perspektive: Aufbruch in eine nachhaltige Sanierungskultur
Die Deutsche Energie-Agentur (dena)[1] und andere Akteure arbeiten aktiv an Maßnahmen zur Beschleunigung und Vereinfachung der Förderprozesse sowie am Abbau rechtlicher Hürden, um so die Marktakzeptanz zu steigern und den Ausbau serieller Sanierungen in Deutschland zu fördern​. Dass serielle Sanierung helfen kann, den Sanierungsstau endlich aufzulösen und die Gebäudesanierungsquote signifikant zu steigern, steht außer Frage. Für Wohnungsunternehmen bietet sie zudem eine Möglichkeit, langfristig attraktive, ESG-konforme Immobilienportfolios zu bewahren – ohne radikale Einschnitte oder Verkäufe ineffizienter Gebäude. Es bleibt also keine Frage des „ob“, sondern des „wann“: Die serielle Sanierung bietet eine zukunftsfähige Antwort auf Deutschlands Energieproblematik im Gebäudesektor. Sie ist effizient, sie ist schnell, und sie ist nachhaltig. Wir sollten uns fragen: Wollen wir weiter im Stau stehen oder endlich die Spur wechseln?

[1] https://www.dena.de/projekte/energiesprong-deutschland-serielles-sanieren/

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