Expertenstreit um Preisentwicklung am Immobilienmarkt eskaliert Investoren brauchen einen „advocatus diaboli“
Professor Harald Simons vom empiricia-Institut ist bei Immobilienprojektentwicklern seit einiger Zeit so beliebt wie der Mieterbund bei Wohnungsinvestoren. Grund war, dass er 2017 im Rahmen des Gutachtens vom ‚Rat der Immobilienweisen‘ vor drastischen Preisrückgängen am deutschen Wohnungsmarkt gewarnt hatte. Diese Warnung wiederholte er angesichts des diesjährigen Gutachtens. Die ‚Immobilien Zeitung‘ konstatierte: „Einer, Simons, – so schien es – stand gegen alle anderen.“ Gegen seine Thesen von einem zu erwartenden Preiseinbruch erhebt unter anderem Andreas Schulten, Vorstand der bulwiengesa AG, Einspruch.
Streit unter den Immobilienweisen
Zum Hintergrund: Herausgeber des Gutachtens, das sich neben dem Wohnungsmarkt auch mit anderen Teilmärkten befasst, ist der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA). Der ZIA beobachte die Entwicklung nach den Worten von Verbandspräsident Andreas Mattner „mit großer Sorge“. „Viele Handlungsoptionen bleiben dem ZIA nicht. Die wahrscheinlichste ist die Demission Simons’“, berichtet die ‚Immobilien Zeitung‘. Hinter den Kulissen werde bereits am Stuhl des empirica-Forschers gesägt. „Ich weiß, dass in der Branche eine richtige Wut auf mich vorherrscht, weil ich einigen das Geschäft kaputt mache. Ich bin der Spielverderber“, zitiert das Blatt Simons. Gegen Bestrebungen, Simons auszubooten, wendet sich sein Gegenspieler Schulten von bulwiengesa: „Die Reibung tut uns gut, weil sie unseren Blick schärft, und dem ZIA tut es auch ganz gut, eine gewisse Farbigkeit zu haben… Wenn man Simons rausschmeißt, würde man das Salz aus der Suppe nehmen.“
Schulten hat Recht. Es braucht kritische Meinungen wie die von Simons. Und zwar gerade in einer Phase, die von jahrelangem Preisanstieg geprägt ist. Ich hatte schon vor über einem Jahr, am 27. April 2017, im Rahmen meiner BERLINER IMMOBILIENRUNDE die führenden Experten eingeladen. Titel der Veranstaltung war damals: „30% Wohnungs-Crash: Unverantwortlicher Alarmismus oder reale Gefahr?“ Neben Simons referierte ein Vertreter von bulwiengesa, Professor Just von der IREBS, Jürgen Michael Schick und mehrere renommierte Wohnungsprojektentwickler. Ich bin der Meinung, dass wir nur durch solche kontroversen Diskussionen von Wissenschaftlern und Praktikern der Wahrheit näherkommen können. Ich sehe Wahrheitsfindung stets wie ein Gerichtsverfahren: Da braucht man einen Staatsanwalt, der üblicherweise die belastenden Fakten sammelt und vorträgt sowie einen Verteidiger, der entlastende Tatsachen sammelt. Wenn beide gut sind, kann sich der Richter eine Meinung auf Basis aller Tatsachen bilden. Auch in der Wissenschaft ist es üblich, dass es heftige Kontroversen gibt, ohne diese Kontroversen ist Erkenntnisgewinn nur sehr schwer möglich.
Wer hat Angst vor Pessimismus?
Wer unbequeme Gegenmeinungen mundtot machen will, schadet sich vor allem selbst. Es gibt gute Argumente für die eher pessimistische Sicht von Simons und es gibt gute Argumente dagegen. In Wahrheit stellt sich jeder Projektentwickler und generell jeder Marktteilnehmer am Immobilienmarkt schon seit Jahren die bange Frage, ob es noch lange so weitergehen kann mit dem Preisauftrieb. Bei manch einem habe ich den Eindruck, dass die Aggression gegen Simons korrespondiert mit eigenen Zweifeln, die man niederringen möchte. Aber genau darin liegt die Gefahr.
Wissenschaftler haben sich intensiv mit dem Phänomen des Überoptimismus befasst. „Im Hinblick auf ihre Folgen für unsere Entscheidungen mag die Optimismus-Verzerrung durchaus die wichtigste kognitive Verzerrung sein“, so der Psychologie-Nobelpreisträger Daniel Kahneman. Die Wirkung des Optimismus bzw. Überoptimismus ist dabei durchaus ambivalent, d.h. diese Haltung ist oft hilfreich, teilweise jedoch auch schädlich. Unternehmer sind fast immer Optimisten, aber in euphorischen Marktphasen ist eine gute Dosis Pessimismus entscheidend wichtig. Der Wissenschaftler Garry Klein empfiehlt, man solle vor dem Start eines Projektes folgende Übung durchführen: Eine Gruppe von Personen, die bestens mit der Entscheidung vertraut ist, solle zu einer Sitzung zusammenkommen, die mit folgender Ansprache bzw. Aufgabenstellung beginnt: „Stellen Sie sich vor, wir befinden uns ein Jahr in der Zukunft. Wir haben den Plan in seiner jetzigen Fassung umgesetzt. Das Ergebnis war eine Katastrophe. Nehmen Sie sich bitte fünf bis zehn Minuten Zeit, um eine kurze Geschichte dieser Katastrophe zu schreiben.“ Der wichtigste Vorzug dieser „Prä-mortem-Methode“ bestehe darin, dass sie Zweifel zulasse und die Befürworter der Entscheidung ermuntere, nach möglichen Gefahren zu suchen, die sie bislang nicht in Betracht gezogen hätten.
Ich kenne einen Immobilien-Projektentwickler, der ist seit 50 Jahren am Markt. So etwas ist sehr selten. Er sagte mir einmal, bei ihm sei das Glas immer halb leer, nicht halb voll. Er habe dadurch manche Preissteigerungen und Gewinne am Immobilienmarkt „verpasst“, aber er habe überlebt und sei sehr erfolgreich gewesen. Er war selbst in seinem Unternehmen der „advocatus diaboli“.
Zum Ausgangspunkt zurück: Ob der Markt seinen Höhepunkt erreicht hat oder nicht, ob wir eine Preiskorrektur erleben werden oder nicht – das weiß in Wahrheit keiner. Wir werden es erst in einigen Jahren wissen. Aber nach so vielen Jahren eines bis dahin nie gekannten Booms am Wohnungsmarkt brauchen wir mehr denn je die Stimmen von Skeptikern – und natürlich brauchen wir auch jene, die ihnen widersprechen. Wer kritische Stimmen zum Schweigen bringen wollte, würde damit niemandem nützen und am meisten sich selbst schaden. Zu viele Menschen leben heute in einer Filterblase, in der sie nur noch Meinungen wahrnehmen, die sie bestätigen. Sie sammeln nur noch Argumente, die ihre eigene Sicht der Dinge stützen.
Bringt uns mehr Fakten!
Ich habe eine Empfehlung für beide „Streithähne“ – also für bulwiengesa und empirica: Bringt uns mehr Fakten! Da werden Dinge ausgerechnet, die keinen einzigen Praktiker interessieren, zum Beispiel der „Stadtwert“, also der Wert aller Immobilien in einer Stadt. Ich habe noch nie einen Projektentwickler getroffen, den das auch nur im Geringsten interessiert. Dafür mangelt es an wichtigen Daten, die für Praktiker tatsächlich relevant sind – und auch für die Streitfrage, ob es Indikatoren für eine Überhitzung und eine zu erwartende Preiskorrektur gibt. Seit Jahren mahne ich beispielsweise an, dass es nur Daten zu Kaufpreisen von Eigentumswohnungen gibt, obwohl dies nur ein Teil des Marktes ist. Der andere Teil des Marktes, der aus Globalverkäufen an institutionelle Investoren besteht, wird kaum untersucht. So fehlen verlässliche Daten über die Entwicklung der Multiplikatoren, die institutionelle Investoren bei Globalverkäufen zahlen. Dazu gibt es höchstens vage Schätzungen mit einer so großen Spannweite, dass sie keine Aussagekraft haben. Und auch was den Eigentumswohnungsmarkt anlangt, werden viele relevante Daten gar nicht erhoben, so zum Beispiel der Anteil ausländischer Käufer. Dabei wissen wir, dass in Metropolen wie Berlin, Frankfurt und Düsseldorf teilweise über 50 Prozent der Eigentumswohnungen – besonders in Hochhäusern und anderen Großprojekten – an ausländische Käufer vermittelt werden. Wie kann man Aussagen über die Nachfrageentwicklung machen, wenn darüber nicht einmal systematisch Daten erhoben werden? Es gibt also eine Menge zu tun für die Immobilien-Researcher.