Immobilienvorstände als lebensunwürdiges Leben?

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Dr. Dr. Rainer Zitelmann

Stellen Sie sich vor, in einem der größten deutschen Magazine erscheint auf der Humor-Seite folgende Karikatur: Zwei Damen unterhalten sich in einem Café: Die eine sagt zur anderen: „Mein Sohn ist schwul.“ Erwidert die andere: „Schade, dass es damals noch keine Fruchtwasseruntersuchungen gab.“

Daraufhin beschweren sich Vertreter des Lesben- und Schwulenverbands beim Deutschen Presserat. Sie argumentieren, Schwule würden mit dieser Karikatur stigmatisiert und der Hinweis auf die Fruchtwasseruntersuchungen impliziere die Entscheidung zwischen lebenswürdigem und lebensunwürdigem Leben – und dass Schwule zu letzterem gehören. Der Verband argumentiert weiter: „In Konsequenz – diese Interpretation erlaubt der Autor – wäre Abtreibung die bessere Lösung.“

Der Presserat braucht dann vier Monate, bis er dem Verband eine Antwort schreibt. In der Antwort heißt es: „Im Rahmen der Prüfung gelangten wir zu dem Schluss, dass eine Verletzung presseethischer Grundsätze nicht vorliegt. Ohne Zweifel lässt sich im Hinblick auf die Karikatur zwar die Geschmacksfrage stellen. Über guten oder schlechten Geschmack entscheidet der Deutsche Presserat jedoch nicht. Unabhängig davon können wir allerdings keine Herabwürdigung oder Diskriminierung des von Ihnen angesprochenen Personenkreises erkennen.“ Die Karikatur sei daher nicht zu beanstanden.

Können Sie sich vorstellen, dass in einem führenden deutschen Presseorgan eine solche Karikatur erscheint? Ich kann es mir zum Glück nicht vorstellen. Können Sie sich vorstellen, dass der Deutsche Presserat dies in Ordnung findet? Auch das kann ich mir nicht vorstellen. Der Deutsche Presserat ist sehr aufmerksam, was die Diskriminierung von Minderheiten anlangt. Das geht so weit, dass der Presserat in einer Richtlinie festlegt, dass in der Berichterstattung über eine Straftat die Zugehörigkeit eines Verdächtigen oder Täters zu einer Minderheit „in der Regel“ nicht erwähnt werden soll, weil dies Vorurteile gegen Minderheiten befördern könne.

Nun zur Auflösung des oben beschriebenen Gedankenexperiments: Nein, zum Glück ist die oben beschriebene Karikatur nicht in einem führenden deutschen Medium erschienen. Tatsächlich druckte jedoch am 30. April 2019 das Magazin „Stern“ auf der Humor-Seite eine Karikatur, bei der eine Frau zu einer anderen sagt: „Mein Sohn ist im Vorstand eines Berliner Wohnkonzerns“, woraufhin die andere erwidert: „Schade, dass es damals noch keine Fruchtwasseruntersuchungen gab.“ Beschwert hat sich daraufhin der Immobilienverband Deutschland (IVD) beim Deutschen Presserat. Und der Presserat antwortete wörtlich so wie oben zitiert, man muss nur bei dem „angesprochenen Personenkreis“ Vorstände von Wohnkonzernen einsetzen. Die Karikatur, so der Presserat, sei zwar eine „Geschmacksfrage“, aber sie sei weder als Diskriminierung noch als Herabwürdigung von Vorständen von Wohnkonzernen zu verstehen.

Inzwischen hat sich die Öffentlichkeit daran gewöhnt, dass Immobilieneigentümer und „Reiche“ öffentlich mit Hass überzogen werden. Zehntausende demonstrierten in Berlin und einer der beliebtesten Sprüche (bundesweit auch so von der LINKEN plakatiert) lautete: „Miethaie zu Fischstäbchen.“ Vermieter werden als gefährliche Tiere dargestellt, aus denen man Fischstäbchen machen soll. Zum 1. Mai in diesem Jahr konnte man überall in Berlin Aufkleber mit einer Guillotine darauf sehen, die für eine Demonstration warben. Der Text neben der Guillotine: „Gegen die Stadt der Reichen“. Im Jahr zuvor führten Demonstranten ein Plakat mit: „Kill your landlord“ – töte deinen Vermieter. Wer solche Parolen rechtfertigt oder lustig findet, sollte ein Gedankenexperiment anstellen und sich fragen, ob er sie auch dann lustig fände, wenn nicht die Minderheit der Reichen, sondern andere Minderheiten Zielscheibe dieser Art von „Humor“ wären.

Der Autor ist Verfasser des Buchs „Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit.“

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