Innovativ geht anders
In Madrid war zur Weihnachtszeit 2018 die Innenstadt für Autos gesperrt. Das führte dazu, dass der stationäre Handel in ganz Madrid 3,3 Prozent und auf der Haupteinkaufsstraße 9,5 Prozent mehr Umsatz verzeichnete. Können Sie sich eine ähnliche Aktion in Deutschland vorstellen? Einzelhandel und Anwohner wären auf die Barrikaden gegangen. Von ökologischer und ideologischer Bevormundung wäre die Rede, von freier Fahrt für freie Bürger, von drohenden Umsatzeinbußen. Dabei hat der radikale Bruch mit tradierten Vorstellungen urbanen Lebens in der spanischen Hauptstadt genau das Gegenteil bewirkt: Die Menschen zog es auf die Straßen und in die Läden, sie nahmen vermeintlich längere Wege in Kauf und erhielten im Gegenzug mehr Lebens- und Einkaufsqualität.
Innovationen und insbesondere Innovationen der Urbanisierung sind in Deutschland seit jeher Streitthema. Das hat nicht nur mit des Deutschen Lieblingsspielzeug, dem Automobil, zu tun, sondern insgesamt damit, dass wir zu häufig in starren Gegensätzen denken. Unsere Metropolen und Ballungsgebiete wachsen, aber wehe, wenn es heißt, wir müssen mehr bauen. Wir wollen, dass unsere Häuser weniger Energie verbrauchen, aber wehe, wenn Wärmedämmung die Mietkosten treibt. Wir ärgern uns über die vielen Funklöcher im deutschen Mobilfunknetz – selbst in den Großstädten –, aber wehe, wenn dafür Sendemasten aufgestellt werden müssen. Wir wollen alles bis vor die Haustür geliefert bekommen, regen uns aber über die vielen Lieferdienste und verstopften Straßen auf, die unser eigenes Verhalten zur Folge hat. So stellen wir Fortschritt derzeit dar: als Gegensatz aus Bewahrung von Althergebrachtem und stetiger Gewinnmaximierung. Von diesem Schwarz-Weiß-Denken müssen wir uns lösen.
Denn die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber den zahlreichen digitalen und technologischen Neuerungen kann sich am Ende sogar als Segen für unsere Städte erweisen. Viele der Trends, die derzeit entwickelt werden, haben eine flächendeckende Marktreife noch nicht erreicht. Klar ist nur, dass die Vernetzung von Menschen und Maschinen unseren Umgang mit Energie, Mobilität und Interaktion radikal verändern wird. Heißt das aber, dass wir jedem neuen Trend hinterherlaufen müssen, wie das etwa in den 1950er- und 1960er-Jahren bei der Abtragung ganzer Stadtteile zugunsten einer autogerechten Stadt geschehen ist – Städte wie Hannover und Düsseldorf können ein trauriges Lied davon singen.
Und heute? Wir verlegen wieder Tausende Schienenkilometer in den Städten für Trams, in China aber werden derzeit schienenlose Straßenbahnen erprobt, denen das Vorhandensein von Schienen lediglich digital suggeriert wird. Wir bauen gewaltige Stromtrassen quer durch die Republik, dabei kann schon bald jeder Haushalt seine eigene Energie produzieren. Projektentwickler werben mit Smart-Home-Technologien, sind aber ratlos, wenn Apple die Stecker seiner Endgeräte von 30 pin auf 8 pol ändert. Diese Liste ließe sich ohne Weiteres fortführen.
Für mich steht fest: Innovationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie weder erwartbar sind noch allseits auf Konsens stoßen. Das Großstadtleben von morgen stellen sich viele als Wimmelbuch vor: kunterbunt, biologisch und lokal. Es wäre auch eine Aufgabe der Immobilienwirtschaft, Wege und Lösungen zu entwickeln, wie diese Wünsche der Bevölkerung in Einklang zu bringen sind mit einer rapide steigenden und gleichzeitig alternden Bevölkerung. Das wäre dann eine echte Innovation.