Nur Staatswohnungen sind gute Wohnungen?


Ich produziere gerade mit Amerikanern einen Film, in dem die Lebenssituation von Ost- und Westdeutschen verglichen wird. In diesem Zusammenhang habe ich mich noch mal ausführlicher mit der Wohnungssituation in der DDR befasst. Da viele Berliner von Enteignung träumen (am 26. September haben 56,4 Prozent dafür gestimmt) und glauben, nur Staatswohnungen seien gute Wohnungen, habe ich einige Fakten zusammengestellt. Entnommen habe ich sie unter anderem dem lesenswerten Buch des Historikers Stefan Wolle, „Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989“.
Während sich die meisten Ein- und Zweifamilienhäuser in der DDR im Privatbesitz befanden, galt dies nur für 20,6 Prozent der Mehrfamilienhäuser. Die meisten gehörten dem Staat. Man sieht, dass Kevin Kühnerts Ideal, wonach Personen Wohnungen oder Häuser nur zur Selbstnutzung, aber nicht zur Vermietung besitzen sollten, in der DDR schon fast verwirklicht war.
Die Mieten in der DDR waren so niedrig, dass man nur davon träumen kann. 1989 lag der Anteil für Mietausgaben am Haushaltseinkommen bei 2,4 Prozent. Damit waren die Mieten faktisch sogar gesunken, denn im Jahre 1960 hatte der Anteil noch 4,1 Prozent betragen. Für Mieter, die heutzutage in vielen Großstädten 30 Prozent oder mehr für die Miete zu zahlen haben, klingt das utopisch.
Doch der Preis, den die DDR-Mieter dafür zu zahlen hatten, war hoch. Der Traum war in Wahrheit ein Alptraum. Das kleinste Problem war noch, dass die Wohnfläche pro Person in der DDR 22 Prozent unter der des Westens lag (27 Quadratmeter vs. 35 Quadratmeter). Schlimmer war dagegen: 99 Prozent der Wohnungen in Westdeutschland hatten ein Bad oder eine Dusche, in der DDR waren es nur 80 Prozent. Und während in Westdeutschland 98 Prozent der Wohnungen ein Innen-WC hatten, waren es in der DDR nur 73 Prozent.
Können Sie sich das wirklich vorstellen: Jeder Fünfte hatte kein Bad bzw. keine Dusche und jeder vierte Mieter musste eine Außentoilette benutzen, die man nur über das Treppenhaus erreichen konnte und die oft von mehreren Mietparteien genutzt wurde? Und während im Westen fast jeder Haushalt ein Telefon hatte, waren es 1989 in der DDR nur 16 Prozent. Bevorzugt behandelt wurden natürlich Parteifunktionäre.
Der Altbaubestand zerfiel zunehmend; 40 Prozent der Mehrfamilienhäuser galten als schwer beschädigt, 11 Prozent sogar als gänzlich unbewohnbar.
Die Wohnungssuche ist nicht nur heutzutage in Berlin für viele Menschen eine Herausforderung (und wird nach vielen Jahren rot-rot-grüner Regierung immer schwieriger), sondern sie war in der DDR eine der Hauptbeschäftigungen der Menschen. „Der Wohnraum“, so heißt es in dem oben genannten Buch von Stefan Wolle, „entwickelte sich wie andere Mangelwaren zum Tauschobjekt, das durch Geld nicht aufzuwiegen war. Man spekulierte mit ihm, gab ihn an Freunde und Bekannte weiter …“ Zuständig für die Wohnungsvergabe waren die Wohnungsämter. „Ohne ständige Nachfrage, Drängen, Drohungen oder Einsatz von Beziehungen bestand kaum eine Chance auf Zuweisung einer Wohnung.“ Wegen der langen Anmeldefristen und Wartezeiten stellten die Bürger (ähnlich wie es für den Kauf eines Autos der Fall war, auf das man 12,5 bis 17 Jahre warten musste) vorsorglich Anträge auf eine neue Wohnung, auch wenn sie gar keine brauchten. Ende 1989 gab es 800.000 unerledigte Vorgänge.
Das waren die Ergebnisse einer Politik, die auf zwei Säulen basierte: dem Glauben, dass nur Staatswohnungen gute Wohnungen seien, und dem Mietenstopp, den Walter Ulbricht und Erich Honecker von Adolf Hitler übernommen hatten. Und nun folgen Grüne und Linke in Berlin wieder den gleichen Überzeugungen – nur Staatswohnungen sind gute Wohnungen und Mietenstopp.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel meinte in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: „Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dies, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“
PS: Zum Schluss noch eine wichtige Bitte an Bauträger, die in der Sonder-AfA-Zeit Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre in Ost-Berlin oder in Städten der ehemaligen DDR tätig waren: Wer hat Fotos oder Filmmaterial zum „Vorher/Nachher“-Vergleich? Ich habe schon einiges Material für den Film zusammengestellt, bin aber dankbar für mehr davon! Bitte mailen Sie an: loke@schick-immobilien.de