Gemeinsamer Appell der 17 Verbände und Kammern zum Wohnungsbau

Presse / Verbandsnews

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist alarmierend. Während der Wohnungsneubau weiterhin stark rückläufig ist, besteht in Deutschland nach wie vor ein enormer Bedarf an (kostengünstigem) Wohnraum – vor allem in den Ballungszentren. Hohe Bau-, Energie- und Materialkosten, gestiegene Zinsen, langwierige Bau- und Planverfahren sowie eine mehrfach zusammengebrochene Wohnungsbauförderung führen zu einer Abwärtsspirale im Wohnungsbau mit gravierenden Folgen. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung dagegen zu steuern, sind bislang unzureichend, zumal der Bedarf allein angesichts der Millionen von Menschen, die der Krieg in der Ukraine in die Flucht treibt, in den nächsten Monaten weiter anwachsen wird.

Es braucht einen neuen, entschiedenen Kraftakt. Und zwar Jetzt.

Im Jahr 2021 wurden nur noch 293.393 Wohnungen neu gebaut. 2022 wird diese Zahl aller Voraussicht noch unterschritten. Alle Vorzeichen deuten darauf hin, dass es im Jahr 2023 einen dramatischen Einbruch geben wird. Das Ziel der Koalition, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, droht zum Wunschdenken zu werden.

Dieser fortschreitende Abstieg muss gestoppt werden. Dringend.

Die Mitglieder der Verbände und Kammern der Planungs-, Bau-, Immobilien- und Wohnungswirtschaft wollen bauen, sollen bauen, aber können unter den aktuellen Bedingungen oft nicht bauen. Wohnraum ist ein entscheidender Beitrag zum sozialen Zusammenhalt, weshalb die Bundesregierung alles unternehmen muss, den Menschen in Deutschland bezahlbaren und ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wir unterstützen sie dabei mit voller Kraft, brauchen aber die richtigen Rahmenbedingungen in Verbindung mit echter Deregulierung.

Wir fordern die Bundesregierung gemeinsam auf, nachfolgende Schritte schnellstmöglich gemeinsam anzugehen:

1. Wohnungsbau muss Chefsache werden
Der tatkräftige Einsatz von Bundesbauministerin Klara Geywitz braucht Unterstützung aller beteiligten Ressorts der Bundesregierung. Es ist Zeit für eine mutige Steuerung auf oberster Ebene. Bundeskanzler Olaf Scholz muss den Wohnungsbau als Chefsache angehen und sein Kabinett zu einer gemeinsamen Offensive antreiben.

2. Gesicherte Förderkulisse und moderne Beschluss-Tools endlich vorlegen
Nach mehrfachen Förderstopps muss die Bundesregierung die bis Ende des Jahres angekündigte Gesamtplanung fürs Fördern von Neubau und Sanierung endlich vorlegen. Ohne ein rundes Konzept werden bezahlbarer Wohnraum und die Sanierung des Gebäudebestands unmöglich. Dazu zählen auch moderne Beschluss-Tools wie die Online-Eigentümerversammlung.

3. Zielgenaue Neubauförderung – verlässliche Bedingungen bis Jahresbeginn schaffen
Beim Neubau müssen Förderung und Anreize die Wirtschaftlichkeitslücke schließen. Benötigt wird eine Neubauförderung zu Jahresbeginn in Höhe von 10 Milliarden Euro jährlich für bezahlbaren Wohnraum.

4. Zügig Grundstücke bereitstellen
Baureife Grundstücke, geeignete Konversionsflächen und Bestandsflächen sind entscheidend. Sie sind laut Bundesregierung vorhanden und müssen nur aktiviert werden. Mit einem digitalen Liegenschafts- und Gebäudekataster für potentiellen Wohnraum sowie einer Vereinfachung von Grundstücksvergabeverfahren könnte schnell Wohnraum geschaffen werden. Vergabe- und Genehmigungsverfahren dürfen nicht mehr als drei Monate dauern, vom Erbbaurecht soll nur in einem ausgewogenen Verhältnis Gebrauch gemacht werden.

5. Durch eine Experimentierklausel Verfahren erleichtern
Über eine Experimentierklausel, wie beispielsweise dem Gebäudetyp E, oder Reallabore, sollte für den Wohnungsbau ein Abweichen von Gesetzen, Normen und Standards ermöglicht werden. Damit wird signalisiert, dass trotzdem gefahrlos und zügig Wohnungen gebaut werden können – auch umwelt- und klimaschonend. Die Bundesregierung hat in Krisensituationen schon mehrfach gezeigt, schnelle regulatorische Entscheidung treffen zu können und sollte dies auch für den Wohnungsbau tun.

6. Umwidmung und Umbau erleichtern
Gebäude, deren Nutzung entfallen ist (zum Beispiel Büro– oder Handelsimmobilien) zu sanieren und zu qualifizieren statt sie abzureißen, ermöglicht, dass eingesetzte Rohstoffe und Materialien weiter genutzt werden und bezahlbarer Wohnraum entstehen kann. Auch bei Veränderung und Umnutzung sollte für die technischen Baubestimmungen Bestandsschutz gelten und somit die Kosten der Umnutzung reduziert werden. Im Einzelfall ist von der Aufsichtsbehörde zu begründen, wenn die Erfüllung aktueller Vorschriften gefordert wird. Die Verpflichtung zur Einhaltung der primären Schutzziele der Bauordnungen bleibt unberührt.

7. Flächendeckend serielles, modulares und typisiertes Bauen ermöglichen
Modulare, serielle und typisierte Bauweise können in Kombination mit digitalen Tools einen Beitrag zur Schaffung vieler bezahlbarer qualitätvoller und klimaschonender Wohnungen leisten. Darauf muss das Bundes- und Landesrecht zügig ausgerichtet werden. Typisierte Wohngebäude, die in den Landesbauordnungen verankert sind, beschleunigen darüber hinaus die Errichtung von neuen Wohngebäuden, weil der Planungszeitraum dadurch wesentlich verkürzt wird.

8. Baukosten durch Steuerpolitik senken
Es gilt, steuerliche Belastungen – wie etwa die Grunderwerbsteuer – aktuell auszusetzen da sie Eigentumsbildung gerade für Familien unnötig erschwert. Zusätzliche Anreizwirkung schafft eine degressive Sonder-AfA, welche die zugesagte Erhöhung der linearen Abschreibung ergänzt. Zudem sollte der Mehrwertsteuersatz für den sozialen Wohnungsbau auf 7% reduziert werden.

9. Mit zielgerichteter Rohstoffstrategie den Kostensteigerungen entgegenwirken
Um Versorgungssicherheit mit Baumaterialien zu gewährleisten und extremen Preisschwankungen vorzubeugen, bedarf es einer zielgenauen Rohstoffstrategie, die auf die Ausschöpfung nationaler Rohstoffabkommen ebenso setzt wie auf eine effektive Kreislaufwirtschaft mit schlanken Zulassungsverfahren für Recyclingbaustoffe. Eine Vorfestlegung auf einzelne Baustoffe wäre kontraproduktiv, es muss Technologieoffenheit gewährleistet werden.

10. Für schnelle Umsetzung der Wohngeldreform
Um soziale Härte zu vermeiden, sollte die Wohngeldreform schnell und umfassend umgesetzt werden.

11. Mehr Klimaschutz – aber mit intelligenten Maßnahmen
Weitere Belastungen privater Bauherren und Unternehmen zur Verbesserung des Klimaschutzes bedürfen eines Kosten-TüVs unter der Kontrolle des Bundeskanzleramts. Kostengünstigere Maßnahmen zum Erreichen von mehr Nachhaltigkeit erhalten den Vorzug, reine Energieeffizienzmaßnahmen wie EH 40 werden nicht eingeführt. Die Qualifizierung der Freiräume als Klimaanpassungsstrategie ist unverzichtbar.

12. Praxischeck einführen
Zahlreiche Maßnahmen aus dem Bundeswirtschaftsministerium werden nicht oder mit geringen Reaktionszeiten mit der Branche abgestimmt. Wieder droht Chaos beim Bundesprogramm für Effiziente Gebäude (BEG). Die KfW plant das für die Antragsstellung notwendig BEG-Prüftool zwei Wochen vor dem eigentlichen Programmende zu schließen. Es bedarf eines Dialoges, der sich orientiert am positiven Beispiel des Bundesbauministeriums.

Dramatische Lage im Wohnungsbau: Teufelskreis durchbrechen. Jetzt!

17 Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft fordern neuen politischen Kraftakt

In einem gemeinsamen Appell haben 17 Spitzenverbände und Kammern des Bau-, Planungs- und Immobilienwirtschaft ihre Forderungen an Bundesregierung und Bundestag sowie die Verantwortlichen in den Ländern formuliert.

HDB-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller, IVD-Bundesgeschäftsführerin Carolin Hegenbarth, ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa sowie ZIA-Hauptgeschäftsführer Oliver Wittke erläuterten heute im Pressegespräch stellvertretend die Lage und die politischen Forderungen.

Oliver Wittke, Hauptgeschäftsführer des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA): „Der Wohnungsneubau in Deutschland steht aufgrund explodierender Preise, steigender Zinsen und zerschlagener Förderkulisse vor dem Kollaps. Wenn die Politik jetzt nicht gegensteuert, laufen wir sehenden Auges in einen Wohnungsnotstand. Wir brauchen jetzt eine zielgenau Neubauförderung, eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie steuerliche Anreize für Investitionen.“

Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB): „Der Bund – aber vor allem die Länder haben noch nicht das geliefert, was notwendig ist, um wirklich mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Es dürfen keine Luftschlösser, es müssen Wohnungen gebaut werden, damit die Meterinnen und Mieter nicht im Regen stehen. Bei den ambitionierten Zielen der Bundesregierung kommen wir daher am seriellen, industriellen Bauen nicht vorbei. Nur so können wir zügig, qualitativ hochwertig und kostengerecht zusätzlichen Wohnraum schaffen. Unsere Forderung ist klar und kostet keinen einzigen Cent extra. Nur den Mut und den Willen der Bundesländer. Denn sie müssen ihre Landesbauordnungen endlich harmonisieren, damit wir industrielle in Serie und mit einem technologieoffenen Mix an bewährten, recycelten und neuen Baumaterialien bundesweit bezahlbares Wohnen ermöglichen können.“

Carolin Hegenbarth, Bundesgeschäftsführerin Immobilienverband Deutschland (IVD): „Es ist keine Zeit mehr für lange Diskussionsrunden und den Versuch, es allen recht zu machen. Jetzt gilt es, alle Hürden, die dem zügigen Bau von bezahlbarem und bedarfsgerechtem Wohnraum im Wege stehen, abzubauen. Wir brauchen Planungssicherheit und ein investitionsfreundliches Klima für alle Akteure der Wohnungswirtschaft inklusive der privaten Bauherren. Jede zusätzliche Wohnung sorgt für Entlastung.“

ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa: „Wir brauchen eine konsistente und stimmige Baupolitik; dazu gehören auch verlässliche und auskömmliche Rahmen- und Förderbedingungen. Daher fordern wir die Wiedereinführung der ausgelaufenen Sonder-AfA im Mietwohnungsbau sowie für den sozialen Wohnungsbau die Entkoppelung der Förderung von dem KfW-40-Standard. Nur so werden wir mehr als die bisherigen 25.000 Sozialwohnungen jährlich bauen können.“

 

[Pressemitteilung vom 5. Dezember 2022]