IVD-Wintercheck: Räum-und Streupflicht im Winter

Presse / Verbandsnews

Eine winterliche Räum- und Streupflicht kann nicht nur bei allgemeiner Glätte, sondern auch bei einer ernsthaften lokalen Glättegefahr bestehen, so urteilte das Kammergericht Berlin am 06.12.20212. Dies richtet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei kommt es stets auf den Pflichtenmaßstab an, der an den primär Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen ist, der den Verkehr auf der in Rede stehenden Fläche eröffnet hat, so auch bei der Übertragung auf Dritte (Kammergericht Berlin, Urteil v. 06.12.2022 – 21 U 56/22).

Wer ist zuständig?

Grundsätzlich ist die zuständige Gemeinde für die Räum-und Streupflicht verantwortlich. Diese überträgt jedoch in der Regel durch Satzung die Pflicht auf die Hauseigentümer.

WEG:
Die Wohnungseigentümergemeinschaft („WEG“) ist für ihre Immobilie verkehrssicherungspflichtig. Dem Verwalter obliegt als Organ deren Vertretung auch die Pflicht zur Verkehrssicherung des gemeinschaftlichen Eigentums, mithin die Räum- und Streupflicht im Winter. Missachtet die WEG diese Verkehrssicherungspflicht, haftet sie bei Verletzungen auf Schadensersatz. Dieser Grundsatz ist unumstößlich (BGH VI ZR 126/07). Die WEG hat drei Möglichkeiten, den Winterdienst zu erledigen:

  • Die Wohnungseigentümer räumen und streuen selbst
  • oder sie beauftragen einen Dienstleister
  • oder übertragen bei vermieteten Wohnungen den Winterdienst auf den Mieter.

Vermietetes Eigentum:
Der Hauseigentümer kann die Räum- und Streupflicht durch Regelung im Mietvertrag oder durch die Hausordnung auf den Mieter abwälzen (Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 30.05.2006, Az. 2 O 324/06 = ZMR 2006, 698). Wird die Winterpflicht ausdrücklich dem Mieter übertragen, so darf der Vermieter grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Mieter seiner Pflicht auch nachkommt (Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 20.06.1996, Az. 7 U 905/96). Der Vermieter muss aber kontrollieren und darauf achten, dass der Mieter seiner Winterpflicht auch tatsächlich nachkommt (Landgericht Waldshut-Tiengen, Urteil vom 30.06.2000, Az. 1 O 60/00). Kommt der Mieter seine durch Mietvertrag oder Hausordnung übertragenen Pflichten nicht nach, so haftet er für eingetretene Schäden infolge eines Sturzes wegen Glatteis (Amtsgericht Ulm, Urteil vom 05.08.1986, Az. 6 C 968/86 – 03).

Ausnahmen: Gebrechliche Senioren müssen dem Winterdienst nicht nachkommen (vgl. für eine 80 jährige Mieterin (Amtsgericht Hamburg-Altona, Urteil vom 30.08.2006, Az. 318A C 146/06). Auch, wenn der Mieter aus gesundheitlichen Gründen diese Arbeiten nicht mehr erledigen kann und weder private noch gewerbliche Dritte zur Übernahme der Arbeiten zu finden sind, besteht keine Pflicht zum Winterdienst (Landgericht Münster, Urteil vom 19.02.2004, Az. 8 S 425/03). Ebenfalls ist es nicht möglich nur dem Mieter der Erdgeschosswohnung die Räum- und Streupflicht aufzuerlegen (Amtsgericht Köln, Urteil vom 14.09.2011, Az. 221 C 170/11).

Was ist zu tun?

Es ist allgemein üblich, dass bei Schneefall oder Glättebildung eine Räum- und Streupflicht werktags erst ab 7.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen erst ab 09.00 Uhr beginnt. Enden tut diese dann jeweils um 20.00 Uhr. Anders kann der Fall jedoch liegen, wenn der Grundstückseigentümer weiß, dass Passanten sein Grundstück schon früher betreten. Dann kann er für Unfälle auch schon vor 7.00 Uhr haftbar gemacht werden (Urteil des OLG Koblenz – Az.: 5 U 1479/14).

Bei starkem Schneefall muss nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs im Zweifel mehrmals am Tag geräumt und gestreut werden (Az.: VI ZR 49/83). Bei Glatteisbildung besteht zudem sofortige Streupflicht (beispielsweise „Blitzeis“).

  • Grundsätzlich gilt, dass der Bürgersteig vor dem Haus, der Hauseingang und häufig auch der Weg zu den Mülltonnen verkehrssicher sein müssen.
  • Eckgrundstücke: Ist die Immobilie an mehreren Seiten von Wegen umgeben, sind alle zu streuen und zu räumen. Wer nur die direkte Zufahrt zum Haus streut, handelt grob fahrlässig (Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil vom 19.03.2008, Az. 4 U 55/07).
  • Tiefgarage: Die Räum-und Streupflicht umfasst auch Zugänge und Rampen zu Tiefgaragen
  • Private Wege und Zufahrten: Sind Besucher darauf angewiesen, einen einzigen Weg zu einem Grundstück zu nutzen, ist dieser räumpflichtig. Wege ohne Verkehrsbedürfnis, die zum Beispiel als Abkürzung genutzt werden, müssen nicht gestreut und geräumt werden.
  • Die Räum- und Streupflicht gilt auch für die Zugangsrampe zur Tiefgarage (Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 30.12.2008, Az. 14 U 107/07).
Wer trägt die Kosten?

Zu der Kostentragungspflicht für die Räum- und Streupflicht gibt es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Der Mieter muss jedenfalls dann die Kosten tragen, wenn er sich aufgrund ausdrücklicher Regelung im Mietvertrag dazu verpflichtet hat (AG Wuppertal, Urt. v. 03.02.1982, Az.: 31 C 500/81 = WM 82, 114) oder aber die Kosten werden im Rahmen der Nebenkosten dem Mieter auferlegt, wenn die Arbeiten von einer Firma vorgenommen werden. In der GdW sind diese Kosten auf alle Eigentümer nach dem gesetzlichen oder vereinbarten Maßstab umzulegen. Die Räum- und Streupflicht kann nicht per Beschlussfassung auf die Eigentümer übertragen werden. Hierfür bedarf es einer Vereinbarung.

Welches Streumittel ist einzusetzen?

Vorgaben welches Streumittel einzusetzen ist, können die kommunalen Straßenreinigungssatzungen vorsehen. Allgemein wird Granulat oder Split ausreichen. Nur in besonderen Fällen, wie zum Beispiel bei starken Gefällen, wird der Einsatz von Salz notwendig sein (LG Rottweil – 2 O 312/07; OLG Thüringen – 4 U 218/05).

Wie gehe ich mit Eiszapfen an den Dachrinnen um?

Hausbesitzer sind insbesondere bei länger anhaltenden Schneefällen und Kälteperioden verpflichtet, Eiszapfen oder Schneeüberhänge, unverzüglich zu beseitigen oder den Gefahrenbereich zu sichern. Anwohner und Hausbesitzer sollten Eiszapfen (etwa an Balkonen) aber nur dann selbst entfernen, wenn dies ohne Risiko möglich ist. Sollte dies nicht gefahrlos möglich sein, sollten die Hauseigentümer eine Fachfirma, zum Beispiel eine Dachdeckerfirma, damit beauftragten.

Auch Mieter eines Ein- oder Zweifamilienhauses kann der Vermieter mietvertraglich dazu verpflichten, Eiszapfen am Dach zu entfernen. Das gilt insbesondere auch dann, wenn dem Mieter im Mietvertrag sämtliche Verkehrssicherungspflichten für das Haus übertragen wurden. Bei Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern ist dies anders. Da die Mieter jeweils nur einen Teil des Gebäudes mieten, können ihnen die Verkehrssicherungspflichten in Bezug auf Dachlawinen oder Eiszapfen nicht vollständig übertragen werden.

Wohin mit dem geräumten Schnee?

Wer die betroffenen Gehwege räumt, darf den Schnee auf dem Gehweg am Fahrbahnrand ablegen, jedoch nicht auf der Straße. Auch der Rinnstein oder Gullys, Ein- oder Ausfahrten, Radfahrstreifen und Haltestellenbereiche der öffentlichen Verkehrsmittel müssen frei bleiben. Neben Fußgängerüberwegen, Straßeneinmündungen und -kreuzungen darf der Schnee nur so hoch angehäuft werden, dass keine Sichtbehinderungen entstehen.

Was sollen Mieter beachten, wenn sie für den Winterdienst einen externen Dienstleister beauftragen wollen?

Man sollte auf örtlich ansässige bekannte Unternehmen mit einem größeren Personalstamm zurückgreifen, da erfahrungsgemäß häufige krankheitsbedingte Ausfälle zu verzeichnen sind. Grundsätzlich gilt hier: Wird die Tätigkeit auf einen Dritten übertragen verkürzen sich die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen auf Kontroll- und Überwachungspflichten. Wird festgestellt, dass die Räumung nicht erfolgt ist, muss wiederum für Ersatz gesorgt werden.

Was geschieht bei einem Verstoß gegen die Räumpflicht?

Kommt der Verpflichtete seiner Pflicht für den Winterdienst nicht nach, kann dies ein Ordnungswidrigkeitsverfahren mit empfindlichen Geldbußen auslösen. Des Weiteren kann eine Ersatzvornahme auf Kosten des Eigentümers angeordnet werden. Kommt es zu einem Personenschaden, kann dies durchaus in einem Strafverfahren wegen Körperverletzung münden. Je nach Schwere des Unfalls haftet der Verpflichtete eventuell auch für Verdienstausfälle, Behandlungskosten, Schmerzensgeld oder sogar lebenslange Ausgleichszahlungen an die verletzte Person.

 

Pressemitteilung vom 20. Dezember 2022